Das ist doch normal
0Dezember 21, 2013 by admin
Es ist doch normal, dass wir uns über andere ärgern. Es ist doch normal, dass wir traurig sind, wenn unsere Lieblingsjeans kaputt ist. Es ist doch normal, dass wir neidisch auf das neue Auto des Nachbarn sind. Es ist doch normal, dass wir sauer auf den Freund sind, der unsere Verabredung vergessen hat. Es ist doch normal, dass wir unser Kind anschreien, das die Tapete mit dem neuen Lippenstift „verschönert“ hat.
Wirklich?
Was bedeutet das Wort „normal“ überhaupt?
Normal ist ein Standard, der immer relativ ist. Je nach Umgebung kann sich „normal“ also verändern. In Afrika ist eine Temperatur von 35 Grad Celsius normal. In unseren Breitengeraden ist es alles andere als normal. Mit dem Klimawandel kann sich das ändern. Irgendwann ist diese Temperatur vielleicht auch in Deutschland normal.
Wir interessieren uns aber nicht für Temperaturen sondern für die Norm im sozialen Kontext. Hier hängt die Norm (das ist der Wortstamm von normal) vom erleben und der Wertung der Menschen ab. Es gibt Verhaltensweisen, die in anderen Kulturen als unnormal und abstoßend empfunden werden. Sich die Nase zu schnäuzen empfinden Japaner beispielsweise als eklig. Wir hingegen empfinden das geräuschvolle Hochziehen der Nase widerwärtig; dies ist das normale Verhalten der Japaner wenn sie Schnupfen haben.
Die Menschen versuchen sich in ihren Kulturkreisen an die geltenden Normen zu halten um anerkannt zu werden. Jeder möchte Teil einer Gruppe sein und fürchtet sich vor dem Ausgestoßen werden, wenn er sich nicht an die Normen dieser Gruppe hält. Wenn diese Normen über viele Generationen aufrecht erhalten werden, dann werden diese Normen fast niemandem mehr bewusst sein. Sie werden Teil der Kultur. Mit dieser Kultur wiederum identifiziert sich der Mensch.
Wird diese Kultur infrage gestellt, dann wird der Mensch, der sich damit identifiziert infrage gestellt. Es wirkt wie ein Angriff auf das „ICH“ des Menschen.
In anderen Artikeln wies ich bereits darauf hin, wie wichtig die Abgrenzung für das Ego ist.
Absurd wird es, wenn Normen nachweislich schädlich sind. Niemand hat gerne negative Gefühle. Gefühle sind jedoch stark davon abhängig wie wir den jetzigen Moment bewerten. Diese Bewertung wiederum hängt oft davon ab, ob wir das Erlebte als normal empfinden. Als Saunabesucher empfinden wir einen völlig Bekleideten auf der Bank gegenüber als negativ. Im Park ist es genau anders herum.
Es kann passieren, dass wir unsere negativen Gefühle durch das Wort „normal“ legitimieren. Durch das Attribut „normal“ könnte es sogar sein, dass ein positives Gefühl als „schlecht“ bewertet wird, einfach weil wir es nicht als normal ansehen, in dieser oder jener Situation schöne Gefühle zu empfinden.
Niemand wird bestreiten, dass Trauer ein negatives Gefühl ist. Was passiert aber, wenn wir am Grab des hoch geachteten Patriarchen ein schönes Gefühl empfinden? Ich meine damit nicht, dass wir uns über seinen Tod freuen. Ich meine ein Gefühl, dass mit Frieden, Ende einer Leidensgeschichte, Erkenntnis über den Lebenskreislauf zutun hat. Die meisten Menschen werden sich dieses Gefühles wegen schämen. Schluss mit lustig. Schon ist ein Gefühl da, welches sogar noch schlimmer als Trauer sein kann.
Fazit:
Normal ist kein Pseudonym für „gut“. Gesellschaftliche Normen können die Gesellschaft zerstören, wenn sie nicht überprüft werden. Jeder Mensch sollte für sich überprüfen, ob er mit dem Wort „normal“ nicht die Tür für Leid (eigenes und fremdes) öffnet. Was uns in der Vergangenheit Sicherheit gab, kann uns Heute Schaden zufügen.
Frage dich nicht, ob etwas normal ist. Frage dich lieber, ob es für jemanden Glück oder Leid erzeugt wie du handelst. Das scheint zwar anstrengender zu sein, als sich in der „normalen Zone“ aufzuhalten aber die Früchte, die wir ernten sind viel wertvoller.
Das „normale“ zu hinterfragen lässt uns wachsen und reifen. Es gab Zeiten, da war selbst der Sklavenhandel in Europa normal. In Afghanistan war es noch vor kurzem normal, für das Musikhören ausgepeitscht zu werden. Es war normal, dass man Atomenergie nutzt ohne ein Endlager für Brennstäbe zu haben.
Je länger ich drüber nachdenke: Normal ist nicht normal.
Category Texte | Tags: Ego, Glück, Leid, lernen, normal, umdenken
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